Arbeits- und Ausländerrecht: Was deutsche Unternehmen in Russland beachten müssen

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Auf dem russischen Markt aktive deutsche Unternehmen werden regelmäßig mit den Besonderheiten des russischen Arbeits- und Migrationsrechts konfrontiert, widmen diesen Besonderheiten jedoch nicht immer die erforderliche Aufmerksamkeit. Außerdem werden die russischen Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung regelmäßig aktualisiert, was neue Präzedenzfälle schafft und neue Anforderungen an die Arbeitgeber stellt.

Ausländerrecht

Visum für technische Betreuung/Arbeitserlaubnis. Wie auch in anderen Ländern ist für die Arbeitsaufnahme in der Russischen Föderation durch Ausländer eine Arbeitserlaubnis erforderlich. Hersteller und Lieferanten von Maschinen und Anlagen, die keine Geschäftsniederlassung in Russland haben, können jedoch ihre Mitarbeiter zur Ausführung von Montage-, Garantie- und Reparaturarbeiten im Zusammenhang mit den gelieferten Anlagen nach Russland auch ohne Arbeitserlaubnis entsenden. In der Praxis erstellt der russische Auftraggeber in diesem Fall eine Einladung für die Einreise der ausländischen Montagekräfte, auf deren Grundlage besagte Mitarbeiter ein gewöhnliches Geschäftsvisum mit Angabe des Aufenthaltszwecks „Technische Wartung“ erhalten (ein sogenanntes „Montagevisum“) und in die Russische Föderation einreisen. Ein solches Visum kann für einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten mit der Berechtigung zur einmaligen oder zweimaligen Einreise nach Russland oder ohne eine Einschränkung der Zahl der Einreisen (Multivisum) erteilt werden. Jedoch darf die Aufenthaltsdauer innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen in der Summe 90 Tage nicht überschreiten.

Oft dauern die Montagearbeiten jedoch länger als drei Monate. Um das Projekt trotzdem ausführen zu können, verdoppeln einige Unternehmen die Zahl der eingesetzten Mitarbeiter und wechseln diese paarweise alle drei Monate aus. Andere Unternehmen schlagen ihren Mitarbeitern vor, zwei Reisepässe mit zwei Visa für technische Wartung zu verwenden und jedes Mal nach Ablauf der besagten 90 Tage aus Russland aus- und mit dem zweiten Pass wieder einzureisen. Das zweite Modell stellt jedoch einen Verstoß gegen die Ausländergesetzgebung dar und wird, im Zuge der fortschreitenden Vervollständigung der Informationsdatenbanken der zuständigen Behörden, von den Grenzschutzbehörden immer aktiver aufgedeckt. Gemäß Art. 18.15 Abs. 1 und 4 Ordnungswidrigkeitengesetzbuch der Russischen Föderation (OWiG RF) können gegen russische Auftraggeber für den illegalen Einsatz ausländischer Arbeitnehmer Bußgelder von bis zu einer Million Rubel verhängt werden. Deutsche Lieferanten können in der Folge auf Schwierigkeiten bei der Einholung von Genehmigungsdokumenten für die Einreise von Mitarbeitern nach Russland stoßen.

Falls Unternehmen längerfristige Projekte in der Russischen Föderation realisieren, ist daher zu empfehlen, die Arbeitnehmer als so genannte „Hochqualifizierte Spezialisten“ (HQS) bei der zu gründenden russischen Tochtergesellschaft einzusetzen. Die maximale Gültigkeitsdauer der Arbeitsgenehmigung für HQS beträgt drei Jahre, ohne jegliche Einschränkungen der maximalen ununterbrochenen Aufenthaltsdauer des Ausländers in Russland. Mit dem HQS wird ein lokaler Arbeitsvertrag nach russischem Recht abgeschlossen. Gemäß Art. 13.2 des Gesetzes „über die rechtliche Lage von Ausländern“ (AuslG RF) ist eine notwendige Voraussetzung für die Einstellung eines HQS-Mitarbeiters, dass er ein Gehalt von mindestens 167.000 Rubel (derzeit rund 2300,00 EURO) monatlich erhält. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zu Gunsten des Arbeitnehmers und dessen mitreisenden Familienmitgliedern, einen Vertrag über eine freiwillige Krankenversicherung abzuschließen. Der Arbeitsvertrag zwischen dem ausländischen Unternehmen und dem entsendeten Arbeitnehmer kann dabei ruhend gestellt werden.

Einreise von ausländischen Arbeitnehmern in die Russische Föderation bei Vorliegen von Ordnungswidrigkeiten. Gemäß Art. 26 Abs. 4 des Gesetzes „über die Einreise in und der Ausreise aus der Russischen Föderation“ kann einem Ausländer die Einreise in die Russische Föderation verweigert werden, wenn er innerhalb von drei Jahren mindestens zwei Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Dies betrifft unter anderem auch Bußgelder für Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Die Bezahlung des Bußgelds hebt die Begehung nicht auf. Die verspätete oder unterlassene Zahlung bildet wiederum einen eigenen ordnungsrechtlichen Tatbestand.

Im Gesetz ist keine Untergrenze für die Höhe der Bußgelder festgelegt. Sie kann zu einem Verbot der Einreise nach Russland führen. Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation1, reicht die Begehung von Ordnungswidrigkeiten für die Verhängung eines Einreiseverbots allein nicht aus, da es zu gravierenden Einschränkungen der Rechte und Freiheiten eines Menschen führen kann. Die zuständigen Behörden und die Gerichte müssen daher prüfen, ob die Folgen eines solchen Verbots in Bezug auf die begangene Ordnungswidrigkeit verhältnismäßig sind. Umstände wie die Dauer des Aufenthalts in der Russischen Föderation, der Familienstand, die Einstellung zur Entrichtung russischer Steuern usw. sind zu würdigen. In der Praxis geschieht dies jedoch nur selten und das Einreiseverbot wird in der Regel ausschließlich auf formaler Grundlage verhängt. Ein Einreiseverbot kann auf dem Gerichtswege und dem Verwaltungswege angefochten werden.

Arbeitsrecht

Arbeitsverhältnis auf Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrages. Die Verschleierung von Arbeitsverhältnissen durch Abschluss von zivilrechtlichen Verträgen ist eine unter russischen Arbeitgebern weit verbreitete Praxis (sog. „Scheinselbständigkeit“), die beim Abschluss von Verträgen sowohl mit natürlichen Personen als auch mit Einzelunternehmern angewendet wird.

Durch Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages mit einer natürlichen Person versucht der Arbeitgeber, die durch die Arbeitsgesetzgebung vorgesehenen Garantien und Entschädigungen zum Schutz des Arbeitnehmers, unter anderem bei Kündigung des Arbeitsvertrages, zu umgehen.

Bei Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages mit einem Einzelunternehmer versucht der Arbeitgeber, die Zahlung von Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen zu vermeiden. Dies ist möglich, da Einzelunternehmer in steuerrechtlicher- und versicherungsrechtlicher Hinsicht privilegiert sind. In der Rechtsprechung wird aber versucht dem entgegenzuwirken. So ist der Oberste Gerichtshof Russlands in seiner neusten Entscheidung2 zu dem Schluss gekommen, dass die streitgegenständliche Tätigkeit des Einzelunternehmers faktisch als Arbeitstätigkeit einzustufen war. Der Kläger musste auf Grundlage des gefassten Gerichtsbeschlusses alle ursprünglich eingesparten Steuern ab dem Zeitpunkt des Beginns des Abschlusses der Dienstleistungsverträge mit den Einzelunternehmern entrichten und außerdem Verzugszinsen und ein Bußgeld zahlen.

Falls also die staatliche Arbeitsinspektion oder ein Gericht feststellt, dass durch einen zivilrechtlichen Vertrag faktisch ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber reguliert wird, müssen auf derartige Beziehungen die Bestimmungen des Arbeitsrechts angewendet werden (Art. 4, 11, 19.1 ArbGB RF). Das Bußgeld für die Umgehung des Abschlusses eines Arbeitsvertrages beträgt für juristische Personen bis zu 100.000 Rubel (Art. 5.27 OWiG RF).

Besonderheiten der Regulierung von Telearbeit. Im Jahr 2013 wurde das Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation um Kapitel 49.1 ergänzt, welches den Besonderheiten der Regulierung von Telearbeit gewidmet ist. Gemäß den neuen gesetzlichen Bestimmungen gilt Arbeit als Telearbeit, wenn sie außerhalb des Unternehmens ausgeführt wird, der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsausübung nicht kontrolliert und die Interaktion zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über allgemeine Informations- und Telekommunikationsnetzwerke (z.B. das Internet) erfolgt.

Ungeachtet dessen, dass die Regulierung der Telearbeit erst vor kurzem begonnen hat, und sich noch keine eindeutige Position der Gerichte herausgebildet hat, ist in Russland ein stabiles Interesse an diesem Arbeitsmodell zu beobachten.

Eine Besonderheit der Telearbeit besteht darin, dass in Bezug auf die betreffenden Arbeitnehmer keine gesonderte Überprüfung der Arbeitsbedingungen durchgeführt wird und der Arbeitgeber sehr viel weniger umfangreiche Pflichten zur Gewährleistung sicherer Arbeitsbedingungen und zur Einhaltung von Arbeitsschutzbedingungen erfüllen muss.

Ein Telearbeitsvertrag muss unter Berücksichtigung aller gesetzlicher Besonderheiten besonders aufmerksam erstellt werden und vor allem folgendes berücksichtigen: Fristen und Verfahren zur Berichterstattung des Arbeitnehmers über die geleistete Arbeit und die Arbeitsvergütung, außerdem Methoden zur Kommunikation mit dem Arbeitgeber und die dafür verwendeten Mittel usw.

Der wichtigste Vorteil der Telearbeit liegt darin, dass die Arbeit außerhalb des Büros an einem für den Arbeitnehmer bequemen Ort ausgeführt werden kann. Der Abschluss eines Vertrages über die Telearbeit mit einem im Ausland befindlichen Arbeitnehmer ist nach der Rechtsauffassung einiger Experten möglich, wird vom Arbeitsministerium aber nicht anerkannt. Das russische Arbeitsgesetzbuch sieht eine solche Möglichkeit nicht explizit vor. Gemäß Schreiben Nr. 17-3/W-410 des Arbeitsministeriums vom 7. August 2015 ist mit einem (auch ausländischen) Arbeitnehmer, der eine Arbeitsfunktion im Ausland ausübt, ein zivilrechtlicher Vertrag zu schließen. Jedoch haben die Ausführungen des Arbeitsministeriums lediglich Empfehlungscharakter und das Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation enthält kein Verbot des Abschluss eines Telearbeitsvertrages mit im Ausland befindlichen Arbeitnehmern. Mehr noch, in einigen Schreiben des Finanzministeriums (z.B. Schreiben Nr. 03-04-06/44849 vom 4. August 2015) wird das Verfahren zur Besteuerung der Auszahlungen an im Ausland tätige Telearbeiter mit der Einkommensteuer für natürliche Personen erläutert, was indirekt die Möglichkeit des Abschlusses von Auslands-Telearbeitsverträgen bestätigt.

Anforderungen im Bereich Arbeitsschutz. In der Praxis vernachlässigen Unternehmen häufig die formalistischen Anforderungen des Arbeitsschutzes. Gemäß Art. 209 ArbGB RF stellt der Arbeitsschutz ein System zur Wahrung von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer während der Ausübung der Arbeitstätigkeit dar.

Zur Gewährleistung von sicheren Arbeitsbedingungen und des Schutzes von Mitarbeitern bei der Arbeit werden den Arbeitgebern verschiedene Pflichten auferlegt.

Aktuell existieren in den unterschiedlichen Bereichen mehrere Vorschriften und Instruktionen zum Arbeitsschutz, z.B. bei der Ausführung von Arbeiten im Bereich Leichtindustrie, Bauwesen und Reparatur, im medizinischen Bereich usw.

So ist gemäß Art. 5.27.1 OWiG RF eine ordnungsrechtliche Belangung von juristischen Personen in Höhe von bis zu 150.000 Rubel vorgesehen. Strafrechtlich können laut Art. 143 StGB RF Personen belangt werden, die kraft ihrer Stellung im Unternehmen oder spezieller Anweisung unmittelbar für die Gewährleistung der Einhaltung der Vorschriften und Normen des Arbeitsschutzes verantwortlich sind, falls sie keine Maßnahmen zur Beseitigung von ihnen bekannten Verstößen gegen die Arbeitsschutzvorschriften ergriffen oder die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften nicht sichergestellt haben.

Weitere Besonderheiten des russischen Arbeitsrechts. Auch in anderen Bereichen weist das russische Arbeitsrecht Besonderheiten auf, so z.B. bei Fragen zum Urlaubsrecht, der Probezeit und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die vorgesehene Urlaubsdauer von 28 Tagen entspricht zwar etwa den deutschen Regelungen. Im Unterschied zum deutschen Recht verfällt der Urlaubsanspruch aber nicht, solange das Arbeitsverhältnis besteht. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht dem Arbeitnehmer eine Abgeltung für alle nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage zu. Anderweitige Ausgestaltungen sind ordnungswidrig und nichtig.

Noch eine Besonderheit bildet die Probezeit, welche von drei bis zu sechs (im Falle von leitenden Angestellten) Monate dauern kann. Eine Kündigung ist dabei möglich, bedarf jedoch einer Begründung. So empfiehlt es sich bei dem Abschluss des Arbeitsvertrages, die vom Arbeitnehmer in der Probezeit zu erreichenden Ziele und seine Aufgaben klar und umfangreich zu definieren.

Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses erfolgt am häufigsten durch den Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen. Eine arbeitgeberseitige Kündigung z.B. wegen mangelnder Leistung des Arbeitnehmers scheitert oft an der fehlenden Dokumentation. Zudem werden Arbeitsverhältnisse häufig auch auf Grund von Maßnahmen des Personalabbaus beendet. Diese sind jedoch mit mehreren formalen Anforderungen und Pflichten des Arbeitgebers verbunden.

1 Beschluss des Verfassungsgerichts Nr.5-P vom 17. Februar 2016.

2 Beschluss des Oberste Gerichtshofs Nr. 302-KG17-382 vom vom 27. Februar 2017.